Mehr Egoismus

Abgeschickt von NOCQUAE am 25 April, 2002 um 12:16:28:

Nachfolgender Text ist etwas länger und auch auf die Gefahr hin, dass ihn nur die wenigsten lesen werden belasse ich ihn ungekürzt. Außerdem werde ich im Nachhinein sowieso wieder feststellen, das wieder irgendein wichtiger Punkt fehlt; diese werde ich dann nachliefern. In einigen Passagen ist er etwas redundant, dass liegt aber an den vielfältigen Verflechtungen, die das Thema aufweist, und ich wollte meine Position so unmissverständlich wie möglich darlegen, auch wenn mir das wie so häufig nur unvollständig (oder gar nicht...) gelingt. Es liegt wahrscheinlich nur an meiner mangelnden Eloquenz. Den Anfang werden einige aus einem anderen Posting von mir kennen, aber dises Beispiel ist nunmal soo gut. (ich bin mal gespannt, ob dieser Thread hier stehenbleibt...) Also, in medias res.

Ein gesunder Egoismus wäre der Schlüssel zum besseren Leben. Betrachten wir zum Beispiel das Konzept der christlichen Nächstenliebe (ein besonders gutes Beispiel bietet die so hochgelobte Mutter Teresa). Der Arme wird im Christentum degradiert zum „Nutztier“: hilf einem Bedürftigen und schon hast du deine Zeit im Fegefeuer um ein paar Jahre vermindert. Hier ein Pflasterchen, dort ein Brot und schon geht’s uns besser. Uns selbst. Nicht dem Armen. Denn kaum ist das Knie schon wieder aufgeschlagen, das Brot gegessen, geht’s von vorne los. Der Christ per se kann gar keine echte, nachhaltige Hilfe leisten, also „Hilfe zu Selbsthilfe“. Er würde damit den Ast absägen, auf dem er sitzt: keine Bedürftigen mehr, keine Möglichkeit „gut“ zu sein.
Beachten wir auch, dass diese Hilfe im Grunde egoistisch ist und nicht etwa aus reiner, lauterer Nächsten-liebe geschieht, auch wenn viele der Gutchristen dies nicht wahrhaben wollen! Mutter Teresas Satz: „Was müssen wir diesem armen Menschen danken; sie haben soviel für uns getan.“ spricht Bände. Eigentlich denkt der Nächstenliebende nur an sich. Die Unredlichkeit beginnt da, wo er vorgibt, nur für andere zu handeln.
Nun zum atheistischen Ansatz, oder besser zu EINEM nicht-transzendentalen, dezidiert atheistischem Ansatz. Der Atheist fragt sich: „Was ist das Ziel des Lebens?“ Biologisch gesehen ist es das Ziel, zu leben (und sich zu reproduzieren). Wir wollen also dem Schmerzenden und Unangenehmen ausweichen und das Angenehme genießen. Damit betreten wir bereits das Gebiet des „philosophischen Lebenssinnes“ der, wie wir sehen, mit dem biologischen eng verwoben ist. Der atheistische Ansatz entspricht also dem von Epikur, auch wenn der Atheist bei weitem nicht allem zustimmen würde, was dieser geschrieben hat, wir sprechen hier nur vom Ansatz. Fassen wir ihn zusammen mit: „Lebe in Genuss“.
Wir müssen nicht Theologie studiert haben, um zu erkennen, das dieser Satz erz-unchristlich ist und dementsprechend laufen dir Gutchristen Sturm gegen ihn, auch wenn er die Basis der gesamten menschlichen Zivilisation bildet. Und genau da liegt das Problem. Mit der antiken (nicht nur im Christentum zu finden-den!) Anti-Genuss-Philosophie, die in unserem Kulturkreis zusammen mit dem Christentum groß gewor-den ist, schafft es selbst (nämlich das Christentum) viele Probleme die mit der heutigen Genuss-Philosophie einhergehen, erst selbst! Wo Genuss und Lust als diabolisch und per se böse verklärt werden, die Menschen aber bis auf wenige Ausnahmen keine Möglichkeit sehen, diesen Bedürfnissen auszuweichen, muss es zwangsläufig zu gewaltigen Problemen kommen: entweder erlebt das Individuum sich selbst als böse, was zu psychischen Störungen führt und die Möglichkeit verbaut, ein glückliches Leben zu führen oder aber es stürzt sich unreflektiert in eine Genusssucht, die auch im Zuge der Genuss-Philosophie nur als dumm bezeichnet werden kann. Die aktuellen Sex-Skandale der katholischen Kirche verdeutlichen dies, oder aber als Beispiel stellen wir uns den typischen über Leichen gehenden „Managertypen“ vor, der im übrigen bei weitem nicht so häufig vorkommt, wie Christen dies in einer von nicht-christlicher Philosophie geprägten Welt gerne sehen würden...
Um diesem „Gotteskreis des Leides“ zu entkommen wäre es zunächst nötig, Genuss und Lust (in allen Bereichen) gesamtgesellschaftlich als gut und positiv zu akzeptieren.
Als zweiten, ebenso wichtigen Punkt ist es vonnöten, die ebenfalls durch genuss-feindliche Philosophien generierte Genusssucht auf eine vernünftige Basis zu stellen: Als ein Stichwort in diesem Zusammenhang nenne ich Lustoptimierung. Die Befriedigung eines Bedürfnisses kann effektiv einem anderen entgegen-stehen. Ein Beispiel: wenn ich gerne Schokolade esse und auch gerne Sex habe, wäre es relativ dumm, mich den lieben langen Tag mit Schokolade voll zu stopfen, da die damit einhergehende Verfettung mei-ne Möglichkeiten einen Sexualpartner zu finden (zumindest in unserem Kulturkreis) ganz erheblich ein-schränken würde.
Entgegen der landläufigen Meinung, muss eine egoistische Philosophie, die es ernst meint, natürlich auch auf ihre Umwelt achten: hier gilt das gute alte Prinzip vom „do ut des“, ich gebe, damit du gibst; oder folkloristisch ausgedrückt „was du nicht willst dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ und noch besser in der Positivform „was du so willst dass man dir tu, dass füg erst einem andern zu“. Ich als Be-standteil einer Gesellschaft in der alle Beteiligten ihre egoistischen Bedürfnisse verfolgen, habe die Wahl, ob ich ein gesamtgesellschaftliches Klima der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft vorziehe (immerhin kann auch ich sehr schnell in die Lage kommen, der Hilfe zu bedürfen) oder das Gegenteil. Ich denke, eine objektive Betrachtung kann hier nur zu einem Ergebnis kommen.
Wenn es mir nun auch noch erlaubt ist, ein wenig zu utopisieren: meiner Meinung nach wären viele Prob-leme eines christlichen Kulturkreises bei einer lustoptimierten, gesund-egoistischen Gesellschaft gar nicht aufgetreten: Man kann Menschen in einer solchen Gesellschaft eigentlich nur dann aufs Schlachtfeld trei-ben, wenn es sich wirklich und objektiv um einen reinen Verteidigungskrieg handelt. Erinnern wir uns daran, dass die Wehrmachtssoldaten nicht etwa für ihr eigenes Wohlergehen in den Kampf gezogen sind (das hätte wohl auch die Phantasie des tumbesten Idioten über Gebühr beansprucht), sondern „für Führer, Volk und Vaterland“ (jawohl, und auf Ihren Koppelschlössern stand „Gott mit uns, wie ich am Rand be-merken will)
Das Problem: wie verhindere ich, dass Superverbrecher (oder auch nur ganz kleine...) alle ihre Wünsche mit dem Hinweis auf ihre „Bedürfnisse“ durchsetzen? Die Lösung heißt auch hier wieder do-ut-des: Mei-ne eigenen Bedürfnisse müssen mit denen der anderen Individuen abgewogen und auf ein vernünftiges Maß gebracht werden. Druck erzeugt Gegendruck; wenn ich versuche, meine (vielleicht auch nur einge-bildeten) Bedürfnisse auf Teufel komm heraus durchzusetzen, muss ich damit rechnen, Gleiches mit Gleichem vergolten zu bekommen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass einige so genannte Bedürfnisse, vorzugsweise solche, die Moralisten in solchen Fällen immer gegen Genuss-Philosophien vorbringen, erst als Gegenbewegung zu einer repressiven Moral überhaupt entstehen. Damit wäre auch klar, warum die zu Anfang beispielhaft dargelegte, in ihrer Basis ja ebenfalls egoistische christliche Philosophie so gefährlich ist: ich schließe mich aus Egoismus einer Philosophie an, die meinen objektiven Bedürfnissen nicht nur keine Beachtung zollt, sondern sie sogar bestraft. Sie ist nicht auf Individualismus ausgerichtet, sondern bekämpft ihn, wo sie kann. Ihr Idealbild ist der nichtexistente Normmensch.


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